›Niemandes Betulichkeit‹ [Update]

Freitag, 3. August 2018

Vom 7. Dezember 1961 bis zum 5. Januar 1962 schrieb Schmidt seine Rezension zu Ellmanns Joyce-Biographie (BA III, 4, S. 170–178) und gab ihr den etwas eigenartigen – und, dass ich’s nur gestehe, mir unverständlichen – Titel ›Niemandes Betulichkeit‹.

Bei diesem Titel handelt es sich, was auch sonst, um ein Zitat. Ich habe allerdings so meine Zweifel, ob Schmidt das Werk, das er da zitiert, tatsächlich gelesen hat.

Am 23. Juni 1959 schreibt Hans Wollschläger einen längeren Brief an Arno Schmidt, in dem es unter anderem auch um Robert Kraft geht. Über diesen schreibt Wollschläger:

wollte man ein General-Motto für seine Methodiken suchen, so etwa ›Niemandes Betulichkeit‹ (wie der alte A. M. Frey so entzückend-blödsinnig ein Kapitel seines SOLNEMAN überschrieb –: die beiden sehen sich gar nicht so unähnlich)

Gemeint ist hier der 1914 erschienene Roman ›Solneman, der Unsichtbare‹ von Alexander Moritz Frey. Weder Autor noch Roman tauchen im Werk Schmidts auf, das Wort »betulich« bzw. »Betulichkeit« gehörte (lt. der BA auf CD) ansonsten nicht gerade zu Schmidts aktivem Wortschatz: da liegt der Verdacht schon arg nah, dass Schmidt sich die Formulierung aus Wollschlägers Brief gemerkt bzw. notiert und ein paar Jahre später benutzt hat.

Update 9.8.2018

Günter Jürgensmeier wies mich darauf hin, dass A. M. Frey und sein Roman ›Solneman, der Unsichtbare‹ zwar bei Schmidt nicht auftaucht, dass er den Roman aber wohl gekannt haben muss – und sei es auch nur auszugsweise.

Zu Freys satirischem Roman finden sich im Netz einige Informationen, unter anderem auch eine ziemlich begeisterte Rezension von Tucholsky, aus der ich einfach mal kurz zitiere:

Die Sache ist einfach die, dass Hciebel Solneman (mit einem N, bitte!) eines Tags in die kleine Stadt geschneit kommt und sich den Bürgerpark kauft. Er legitimiert sich mit einem kindskopfgroßen Diamanten, zahlt 75 – in Worten: fünfundsiebzig – Millionen auf den Tisch des Hauses – oder waren es hundertfünfzigtausend? – und macht sichs behaglich in seinem Park.

Und baut eine riesige Mauer um den Park, wie er sich auch ausgemacht hat, dass sich keiner vermessen dürfe, in den Park einzudringen – und das Spiel geht los.

Vor dem Kauf des Parks bittet sich Hciebel Solneman – was natürlich nichts anderes heißt als »Namenlos lebe ich« – aus, dass er in Ruhe gelassen wird:

Niemandes Bruder bin ich, bin niemandes Neugier, niemandes Fürsorge, niemandes Betulichkeit. Dies vor allem.

Anders und salopp gesagt: Schmidt gibt durch die Titelwahl seiner Rezension zu verstehen, dass Leute wie Ellmann Joyce gefälligst in Ruhe zu lassen haben.

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