Zuerst in: Schauerfeld, Heft 4, 2000

Drei Mohren klaspern durchs Eilysion

Notizen zu den Spuren eines privatmythologischen Motivs in Arno Schmidts Juvenilia, ihrem Versickern im Werk und ihrem unvermuteten Auftauchen.

Am 24. Juni 1953 – die Schmidts machen ein paar Tage, nunja: Urlaub am Dümmer – notiert Alice Schmidt, die an diesem Tag 37 Jahre alt wird, in ihr Tagebuch:

Trüber Morgen. Deshalb etwas später aufgestanden; aber gegen ½ 9 am See. Mohren waren, ganz gut in Gummihaut etc verpackt, das I. x mit.

Bei diesen Mohren handelt es sich, wie die Herausgeber erläuternd anmerken, um »drei aus einer Pralinenschachtel ausgeschnittene, zur Privatmythologie gehörende ›Sarotti‹-Mohren (vgl. Juvenilia).«

Wer jetzt – so wie ich als Jahrgang 61 – über den Plural stolpert, erfährt nach einem kurzen Blick in die Geschichte der Marke Sarotti nicht nur, daß die Schokoladefabrik am 16. September 1852 unter dem schönen Namen »Confiseur-Waaren Handlung Felix und Sarotti« gegründet wurde, sondern auch, daß sie am 27. August 1918 »drei Mohren mit Tablett« als Markenzeichen eintragen ließ. Aus diesem ursprünglichen Trio wurde vier Jahre später, am 2. November 1922, der einzelne »Sarotti-Mohr«, der auch heute noch als Markenzeichen bei der Firma Stollwerck (die sich 1998 den süßen Happen Sarotti einverleibte) im lebhaftesten Gebrauch ist. Sein Aussehen hat der Mohr in den Jahren kaum verändert, bis heute basiert dieses Stück Alltagsemblematik auf den Entwürfen des Werbefachmanns und Grafikers Prof. Julius Gipkens.

Doch zurück zu den drei Mohren am Dümmer. Alice Schmidt notiert weiter: »Ich steige ins Wasser (Mohren sind natürlich recht ängstlich)« – woraus man wohl schließen kann, daß die Schmidts die Mohren nicht nur als tote Pappkameraden mit sich herumtragen, sondern sie zumindest zeitweise spielend beleben. Vielleicht war ja auch die Furcht der Mohren vor dem Wasser, Gummihaut hin oder her, der Grund, warum sie am nächsten Tag, dem 25. Juni 1953, nicht mehr mit von der Partie sind: »Mohren sind nicht mit« vermerkt Alice Schmidt gewissenhaft.

Mehr Mohren-Spuren gibt es in diesen Tagebuchauszügen leider nicht. Geht man dem Herausgeberhinweis auf die Juvenilia nach, findet man jedoch eine beachtliche Mohrenfülle und kommt nebenbei einer möglichen Bedeutung der schmidtschen Privatmythologie auf die Spur.

Da gibt es zum einen den, natürlich fiktiven, 3-Mohren-Verlag, dem Schmidt seine frühen Werke ›Der junge Herr Siebold‹, ›Der Garten des Herrn von Rosenroth‹, ›Die Fremden‹ und ›Mein Onkel Nikolaus‹ zugedacht hatte. Dabei läßt die Ortsangabe im ›Jungen Herrn Siebold‹ und dem ›Garten des Herrn von Rosenroth‹ keinen Zweifel daran, in welche Ecke der Welt Arno Schmidt den Verlagssitz verlegt hat und was wohl im Zentrum der schmidtschen Mohrenmythologie steht: Das »Eilysion«.

Die Mohren gehören aber auch zum festen Typenbestand der frühen Texte Schmidts. Wann immer seltsame oder exotische Figuren auftreten, gehören zu ihrem Gefolge Mohren und wo immer Mohren auftreten, sind sie ein Zeichen für die Anwesenheit einer poetischen Gegen- und Fluchtwelt, deren Möglichkeit in den frühen Texten noch problemlos zu gelingen scheint, so lange man an die »heilige, gerechte und allmächtige Phantasie« glaubt, mit deren Anrufung sich in ›Die Fremden‹ der Zugang zur Insel Felsenburg öffnet.

Drei Mohren begleiten den Herrn Jan van der Meers (dem Inkognito von Aziabel, einem Fürsten »der Gewässer und unterirdischen Schätze«, den der Titelheld zu Beginn des ›Jungen Herrn Siebold‹ herbeiruft) und auch im ›Garten des Herrn von Rosenroth‹ tauchen »drei ausnehmend gut gelungene Mohren in einer Reihe« auf, allerdings nur in effigie, nämlich als Besatz einer »von innen erleuchtete[n] rosa Torte«. Ist hier die Anregung durch die Schokoladenmohren der Süßigkeitenfirma Sarotti zu ahnen, so tritt der Sarotti-Mohr in der phantastischen Wolkenreise¹ auch noch persönlich auf. Die Beschreibung läßt kaum einen Zweifel, welcher Mohr dem Autor vor Augen stand:

»– sehen Sie, dort drüben«, flüsterte er halblaut, indem er auf einen ungemein wohlgekleideten Mohren mit bedeutendem pausbäckigem Gesichtchen, blauem Seidenjäckchen und feuerroten bauschigen Hosen, unter welchen die Spitzen prächtiger klappernder Goldschühchen hervorsahen, hinwies, »– trefflich, wie – ?«

Auch im ›Onkel Nikolaus‹ findet sich die Mohrenspur, wenn auch in etwas abgewandelter Form. Die Botschafter der phantastischen Feen- und Zauberwelt treten nicht als handelnden Figuren unter anderen handelnden Figuren auf, sondern gehören zur phantastischen Welt der belebten Modelle, die im Frühwerk Schmidts gelegentlich (etwa in ›Die Fremden‹) eine Rolle spielen und die unschwer als Verdinglichung der noch im letzten Werk als die »wahre Welt« gefeierten »Welt der Kunst & Fantasie« zu erkennen sind.

So beobachtet Athanasius von Löwenstein im »Schaufensterkasten des Wendlerschen Hauses […] eine gar sorgfältig aufgebaute südliche, ja arabische Landschaft«, in der sich unter anderem »[d]rei Herren in reicher mohrischer Tracht« aufhalten. Etwas später betrachtet der Ich-Erzähler Anton Däubler eine ähnliche Szene im Schaufensterkasten, es wird von der feengleichen Tochter Wendlers an die Scheibe geklopft, worauf sich »die drei Herren« – also die Puppen in der Szenerie – »interessiert nach dem Pochen« umdrehen und Anton »in drei der artigsten runden Mohrengesichtchen, die man wohl auf einem guten Teile der bewohnten Welt antreffen mag« sieht.

Bleiben schließlich noch die ›Dichtergespräche im Elysium‹. In dieser privaten Literaturgeschichte darf die Privatmythologie natürlich nicht fehlen. Und richtig – während Jacob Burckhardt sich über das »grobe Pfund im drei Zoll dicken Schädel« des lesenden »Pöbel« ärgert, gibt E. T. A. Hoffmann beruhigend zu bedenken, daß immer noch »einige wunderliche Leute mit zarten Händen und voll ehrlicher Zuneigung« den Weg ins Dichterparadies fänden. Er jedenfalls wolle »ihnen zukünftig Droßelmeier und die kleine Marie entgegensenden: die Mohren bringen sie ja selbst mit« – und es ist wohl nicht schwer zu erraten, welche zukünftigen Bewohner des Elysiums, die ihre Mohren selbst mit bringen, Hoffmann da wohl meint.

Die Schmidts scheinen ihre drei Mohren nicht nur in den Dichter- sondern auch realen Nachthimmel versetzt und eine Sternenkonstellation nach ihnen benannt zu haben. Das zumindest legt eine Äußerung Fischarts nah, der am Fenster steht und den Sternenhimmel beobachtet:

Schön ist’s draußen und sternenklar geworden, alles funkelt und flimmert. Drüben, über Hoffmanns Hause stehen die drei Mohren ganz deutlich in einer Reihe; natürlich: der zweite! – Holla; eine Sternschnuppe fährt leuchtend über den ganzen Himmel –

Auch hier sind die drei Mohren also mit Hoffmann verbunden, den Paracelsus als den »größte[n] Zauberer im ganzen Eilysion« bezeichnet und der schließlich noch einmal mit einer Mohrenstelle auftritt: »Komm heut zu mir«, flüstert er »heimlich« zu Cervantes, »und laß uns lesen, mich vom ewigen Don Quijote und du sollst den Nußknacker haben. – Ich habe auch die Treppe wiedergefunden im Ärmel, und die Mohren warten schon und klaspern ungeduldig! –«.

Die wiedergefundene Treppe, stammt, wie schon die früher erwähnte Marie und ihr Patenonkel Droßelmeier, aus dem genannten Märchen ›Nußknacker und Mausekönig‹. Dort nämlich führt Nußknacker nach schließlich erfolgreicher Schlacht gegen den Mausekönig »Demoiselle Marie Stahlbaum, die Tochter eines sehr achtungswerten Medizinalrates, und die Retterin meines Lebens« über eine Treppe, die sich im Ärmel »des Vaters Reisefuchspelz« verbirgt, ins »Puppenreich«:

Nußknacker kletterte sehr geschickt an den Leisten und Verzierungen herauf, daß er die große Troddel, die an einer dicken Schnur befestigt, auf dem Rückteile jenes Pelzes hing, erfassen konnte. Sowie Nußknacker diese Troddel stark anzog, ließ sich schnell eine sehr zierliche Treppe von Zedernholz durch den Pelzärmel herab.

Über diese Treppe erreichen die beiden, wie sollte es anders sein, »die Kandiswiese«. Mohren tauchen bei Hoffmann natürlich auch auf, aber nur im Dutzend.

Damit sind die relevanten Mohrenstellen in den ›Juvenilia‹ erschöpft. Wirft man nun einen Blick in die nach 1945 publizierten Werke, stellt man verblüfft fest, daß sich die Mohren außerordentlich rar machen. Der Mohrenkomplex, der in den frühen dichterischen Versuchen noch naiv nach außen getragen wurde – das Frühwerk ist zwar durchweg introvertiert und von einer nach innen gerichteten Dynamik gekennzeichnet, aber trotzdem von seinem Autor zum Zeitpunkt der Abfassung wohl zur Veröffentlichung bestimmt gewesen –, wurde im Werk nach 1945 zusammen mit dem gesamten Motivbestand der ›Juvenilia‹ wieder nach innen genommen.

Nur im nicht für die Öffentlichkeit bestimmten ›Lillies Sonettenkranz‹ von 1951 findet sich ein deutlicher, wohl nur der Adressatin voll verständlicher Bezug zur schmidtschen Privatmythologie, wie man ihn in den Juvenilia so häufig findet.² Dort heißt es in der ersten Terzine des 15. und letzten Sonetts:

Gleich naht sich eine Deputation
Von Mohren (Dreie sinds in einer Reih),
und auch das Quarkgebäck genießt man schon.

Der Untergang der Mohren im öffentlichen Text und ihr Versinken in der Privatmythologie der Schmidts gehört mit zu dem radikalen Bruch in Schmidts Werk, der die Themen und Motive der ersten dichterischen Versuche um- und unterpflügte, so daß die im Frühwerk in mehreren Anläufen immer wieder versuchte und für möglich gehaltene dichterische Gestaltung des gelungenen Übergangs von der realen Welt in die – für Arno, und, so wird man wohl hinzufügen können, auch Alice Schmidt – nicht minder reale und erst im Spätwerk wieder so offen wie einst inthronisierte »Welt der Kunst & Fantasie«, zur subkutan wirkenden Kraft und nie zu erreichende Zielvorgabe im Werk wurde.

Besonders drastisch wird der Wandel in ›Zettel’s Traum‹ mit zwei Kürzestreminiszenzen an die frühen Motive deutlich. Dort wird einmal die gebogen/geschwungene Form des »Sarotti«-Logos benutzt, um die Form eines Papiers nachzubilden, mit dem Franziska ihr »Häufchen Jungferndreck« nach morgendlichem Toilettengang im Wald »zu ⅔ bedeckt«. Zum anderen führt Daniel zwar Mohren als Zeichen besonderer Ereignisse an, doch nur, um sie sofort zu entwerten und der Lächerlichkeit preiszugeben.

Zwar werden die Mohren (und noch dazu in auffälligen Großbuchstaben) mit anderen romantischen Requisiten zu den »ungewöhnlichen Erscheinungn« gerechnet, bei denen man »lauter=Reime her=sagn« muß und die damit wohl zu den poesiefördernden Dingen zu zählen sind, doch kaum klingt die Erinnerung an die Ritter-, Zwergen-, Mohrenromantik eines Fouqué oder Hoffmann an, zieht Daniel einen schnörkellos-nüchternen Schußstrich unter die jugendlichen Fluchtphantasien. Kurzerhand wird die Aufzählung bereimenswerter Erscheinungen ins absurd-alltägliche verlängert:

»Bei ungewöhnlichn Erscheinungn muß man lauter=Reime her=sagn. – »(:?) -:« Ochso=ä: beim Anblick eines Régnbôgns; Hoher Pottentâtn; von Zwergn oder MOHREN; anlass=lich der Baumblüte im Frühjahr. : Bey=Errichtunk 1 neuen Schuppms; bei Anbringung einer Hängematte & beim Bau von Schaukeln …«³

Doch es gibt ein Werk Schmidts, in dem die drei Mohren plötzlich wieder auftauchen als sei nichts geschehen: ›Das steinerne Herz‹. Dort nämlich gehören sie zu den Glücksbringern und Maskottchen des Fernfahrers und Wanderers zwischen den Welten Karl Thumann, der nicht nur am »Kühler das Glückshufeisen« hängen hat, sondern – und diese Beobachtung ist dem Erzähler immerhin ein eigener Absatz wert – die drei Mohren:

(Er hatte über seinem Sitz 3 bunt gekleidete Mohren hängen, denen er mit großer Achtung begegnete; auch wechselte er bei schwieriger Straße gern einige Worte mit ihnen).

Bemerkenswert ist hier zweierlei: Zum einen, daß die Fahrt, bei der die Mohren um Rat gefragt werden, in mehr als einer Beziehung über die Grenze geht, nicht nur von der BRD in die DDR, sondern auch in ein immer wieder mit Todesmetaphern gezeichnetes Reich, dem eine Frau, ein Kater und, natürlich, ein Buch entrissen werden muß – und daß der doch einigermaßen exponierten Mohren im gesamten Text sonst nicht weiter gedacht wird.

Noch seltsamer wird dieses unvermutete Wiederkehr des schmidtschen Privatmythos aus der Frühzeit, wenn es etwas später, in Ostberlin, über Karl heißt: »er klasperte die grauen Treppen herauf«. Denn das Wörtchen »klaspern« taucht bei Schmidt ansonsten nur im Frühwerk auf – auch und besonders, wie weiter oben schon zitiert, in Verbindung mit den Mohren.

Auf der Suche nach der Bedeutung des Wortes galt der erste Versuch einer groben Volltextsuche im Internet. Und siehe da: Neben der eher kuriosen Information, der Deutschen Elasmobranchier-Gesellschaft, daß »das Männchen der Haie, Rochen und Chimären […] ein paariges penisartiges Organ […] genannt Klasper« besitzt, stößt man auch rasch auf ein Hochdeutsch-Niederdeutsches-Lexikon, in dem »klaspern« mit »klettern (z.B. die Leiter hoch)« übersetzt wird, womit der Wortgebrauch im ›Steinernen Herzen‹ übereinstimmt.

Doch Schmidts ›Juvenilia‹ scheinen der einzige umfangreiche Beleg für den literarischen Gebrauch des Wortes zu sein – die Suche nach »klaspern« in den einschlägigen und recht umfangreichen Textsammlungen im Internet und auf CD-ROM wird nur ein einzige Mal an wenig prominenter Stelle fündig, nämlich in Fritz Reuters ›De Reis’ nach Bellingen‹. Dort heißt es im im elften Kapittel: »Un klaspern in de Bäuk herin«. Selbst das ›Deutsche Wörterbuch‹ der Grimms kennt lediglich das ähnlich klingende, »merkwürdige volkswort« »klabastern«, dessen Bedeutung mit »schlagen, prügeln […] polternd laufen, reiten fahren u. dgl.« angeben wird.

Von Schlägen oder Prügeln ist der schmidtsche Gebrauch des Wortes deutlich entfernt, aber ein polterndes Laufen, auch aufgeregtes Trampeln und Trippeln, wohl auch hastiges Stolpern, scheint die Bedeutung gut zu treffen. So »klaspern« die Mohren etwa in den ›Dichtergesprächen‹ »ungeduldig«, im ›Jungen Herrn Siebold‹ kommen die Mohren aus einem Haus »herausgeklaspert«, im (mohrenlosen) ›Rebell‹ »klaspert« der kleine Held des Fragments durch die Gassen, im ›Haus in der Holetschkagasse‹ »hüpfen kaum handgroße Wesen in zackigen silbernen Röckchen« mit »Klasperbeinchen« herum, und im ›Garten des Herrn von Rosenroth‹ ist es schließlich Puck, der kleine Sohn des Hauses, der eine Treppe empor- bzw. »eilfertig hinter dem Vater« herklaspert. Da kann es nicht überraschen, daß auch Hoffmanns Mohren im ›Nußknacker‹ – nun, nicht gerade klaspern. Sondern klappern:

Aber die zwölf kleinen Mohren […] stampften […] mit den Füßen einen ganz seltsamen Takt und sangen: »Klapp und klipp und klipp und klapp, auf und ab – Mohrenreigen darf nicht schweigen; rührt euch, Fische – rührt euch, Schwäne, dröhne, Muschelwagen, dröhne, klapp und klipp und klipp und klapp und auf und ab!« – »Mohren sind gar lustige Leute,« sprach Nußknacker etwas betreten […].

Allerdings: An allen Stellen klaspern und klappern ausschließlich kleine Wesen, Kinder und Mohren – und keines dieser Attribute trifft auf Karl Thumann zu.

Was soll man dazu sagen? Vielleicht gar nichts – und statt dessen lieber zitieren. Nämlich Charles Henry Winer aus der ›Gelehrtenrepublik‹, dem angesichts der ebenso traurigen wie typischen »Sie konnten zueinander nicht kommen«-Szene ein halbes ›Nußknacker‹-, halbes ›Brand’s Haide‹-Zitat in erstaunlicher und bedenkenswerter Abwandlung einfällt:

Und auch ich starte ihr nach; die Arme ratlos verschränkt. Es war ein bißchen viel auf einmal; für’n einfachen Journalisten: Konditorkonditor: was ist der Mohr & was kann aus ihm werden!

Der Anmerkungsteil wurde für die Internet-Fassung überarbeitet und stark komprimiert, auf einfache Zitatnachweise wurde grundsätzlich verzichtet; die überflüssige Dopplung »Dümmer See« wurde nach einem Hinweis von Friedhelm Rathjen zum einfachen »Dümmer« korrigiert.

1
Die Wolkenreise aus dem sechsten Kapitel des ›Garten des Herrn von Rosenroth‹ wird fast wörtlich im Bild 52 von ›Abend mit Goldrand‹ zitiert – allerdings, und das finde ich denn doch bemerkenswert: ohne den Mohren. Auf diese erstaunliche Übernahme des frühen Motivs im späten Werk wurde in der Forschung zwar hingewiesen (etwa von Sabine Kyora, ›Die Wolkenreise in Abend mit Goldrand‹, ›Bargfelder Bote‹, Lfg. 179-180), doch die Frage nach der Bedeutung des Selbstzitats und wie es zu lesen sei, harrt noch der eingehenderen Beschäftigung.
2
Vgl. hierzu die Widmung der ›Dichtergespräche‹: »aber du wirst mich verstehen und nur Du […] Siehst Du: Nur wir Beide«. Letzteres bezieht sich auf das davorstehende »Schwarz und Rot«, das wohl nicht nur auf die schwarz-rote Titelei der Dichtergespräche anspielt, sondern als Farbkombination in den ›Juvenilia‹ zumindest an einer Stelle emphatisch der Bücherwelt zugeordnet ist und gewissermaßen zum Mohrenkomplex zu gehören scheint: »Er blätterte ganz vorsichtig und streichelnd in dem alten Buche, ›ist der Titel denn schwarz und rot – ?! – Ach! –‹« (›Die Fremden‹). – Auch diese Kombination der Farben und Bücher taucht erst wieder im Spätwerk auf, allerdings gibt es da nur einen, wenn überhaupt, sehr gebrochenen Zusammenhang, da es sich bei dem Buch, das in der ›Julia‹ »in Leder, und schwarz & rot gedruckt« erscheint, um »ARGO, der Herold des neuen Deutschlands« handeln soll, »een Ding, nur in 100 Exemplaren für Hitler und dessen engste Mitarbeiter gedruckt«. (BA, IV, 4, S. 44)
3
Im Übergang von der phantastischen Welt der Zwerge und Mohren zu den banalen Alltagsgegenständen Schaukel und Schuppen blitzt zum einen der Unterschied zwischen den ›Juvenilia‹ und dem Werk nach 1945 kurz auf, zum anderen aber wird dem Alltag gleichsam die poetische Weihe erteilt.
4
Dem »Kleinvölkelverlag« hatte Schmidt ›Das Haus in der Holetschkagasse‹ zugedacht. Auch dieser Verlag hat seinen Sitz im »Eilysion«. – Wo auch sonst?
5
»Konditor, Konditor!: Was ist der Mensch und was kann aus ihm werden!« heißt es in ›Brand’s Haide‹ (BA I, 1, S. 188) in Anlehnung an das memento mori des Hoffmannschen Zuckerbäckerlandes in ›Nußknacker und Mausekönig‹: »Was bedeutet das mit dem Konditor, guter Herr Droßelmeier?« fragte Marie. »Ach, beste Demoiselle Stahlbaum,« erwiderte Nußknacker, »Konditor wird hier eine unbekannte, aber sehr grauliche Macht genannt, von der man glaubt, daß sie aus dem Menschen machen könne, was sie wolle; es ist das Verhängnis, welches über dies kleine lustige Volk regiert, und sie fürchten dieses so sehr, daß durch die bloße Nennung des Namens der größte Tumult gestillt werden kann, wie es eben der Herr Bürgermeister bewiesen hat. Ein jeder denkt dann nicht mehr an Irdisches, an Rippenstöße und Kopfbeulen, sondern geht in sich und spricht: ›Was ist der Mensch, und was kann aus ihm werden?‹«
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